Tim Schleider
Stuttgart
Noch wird im Stuttgarter Staatstheater gespielt; Ballett, Oper und Schauspiel machen noch längst keine Bühnenferien. Die Vorstellungen sind gut bis sehr gut besucht. Die rund 1400 Mitarbeiter des Hauses können zufrieden sein, eine sehr schwierige Coronasaison summa summarum erfolgreich gemeistert zu haben. Dafür fällt ihnen jetzt die Politik in den Rücken.
Tatsächlich raunt es schon seit einiger Zeit sowohl im Landtag als auch im Rathaus, in Ministerien und am Rande der jahreszeitenüblichen Geselligkeiten: diese milliardenschwere Opernsanierung – alles viel zu teuer, viel zu groß, viel zu edel; alles in Zeiten von Krieg, Inflation und Energiekrise völlig undurchführbar! Mit Namen zitiert werden mochte bis dato niemand. Aber nun hat Manuel Hagel, der CDU-Fraktionschef im Landtag, die Jagd auf das Projekt auch offiziell freigegeben: Politik müsse verantwortungsvoll handeln, dafür brauche sie endlich verlässliche Daten, vertiefte Prüfungen, günstigere Varianten; alles andere sei dem Bürger nicht vermittelbar „in diesen Zeiten“.
CDU-Politiker scheinen es aktuell offenbar den Bürgern leichter vermitteln zu können, mit dem Privatjet zur mehrtägigen Hochzeitssause ins Sansibar nach Sylt zu düsen, als eine seit rund zehn Jahren von Stadt und Land nun wirklich bis in die letzte Verästelung durch- und ausdiskutierte und daraufhin längst beschlossene Aufgabe namens Generalsanierung des Stuttgarter Opernhauses schlicht umzusetzen. Und dabei sind es stets die gleichen Politsprechbausteine, die zum Einsatz kommen, um Kultur und Künstler öffentlich in Misskredit zu bringen: „abspecken“, „erst mal vernünftig planen“, „mehr auf die Kosten achten“.
Niemand, der die Verhältnisse am Eckensee jenseits des Vorhangs aus eigener Anschauung kennt, bezweifelt ernsthaft die Notwendigkeit, dort zu sanieren. Die Größe und Ausstattung der Arbeitsplätze, die Sicherheit der technischen Anlagen, der bauliche Zustand: Dass hier überhaupt noch gearbeitet werden darf, ist nur dem Bestandsschutz für ein Kultur-Baudenkmal zu danken. Und dass dafür eigentlich zuständige Aufsichtsbehörden noch nicht eingeschritten sind, hat auch damit zu tun, dass die politisch Verantwortlichen eben eine baldige Sanierung in Aussicht gestellt haben.
Statt dafür die politische Arbeit zu leisten, stellen besagte Verantwortliche Zusammenhänge her, die politisch keine sind: Weil beim Heizen im kommenden Winter gespart werden muss, soll eine Kulturinvestition, deren Umsetzung inzwischen bis weit in die 2030er Jahre reichen wird, nicht mehr möglich sein? Im Grunde erstaunt es weniger, dass Politiker versuchen, in diesem Krisensommer mit dem Finger auf die Kulturpolitik zu zeigen, um so von ihrem eigenen fortgesetzten Versagen zum Beispiel beim Ausbau alternativer Energien abzulenken. Viel erstaunlicher ist, wie ruhig die Stadt Stuttgart diese aktuelle Debatte gerade erträgt.
Es geht um ein historisches Gebäude im Herzen Stuttgarts, das seit über hundert Jahren als Theater genutzt wird und zur Ausstrahlung dieser Stadt maßgeblich beiträgt. So, wie Teile der Politik die Debatte jetzt zuspitzen – mit dem wohlfeilen Ruf nach Alternativen, ohne auch nur an einer Stelle ernsthaft nach einer zu suchen –, wird dieses Opernhaus in nicht mehr allzu ferner Zeit schließen müssen. Bis jetzt ist aus der Bürger- und Unternehmerschaft kein starkes Votum, kein Plädoyer für dieses Haus, für die Künstler, für die 1400 Mitarbeiter dort zu vernehmen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Stadt einen schweren Verlust erst dann beklagt, wenn er unwiderruflich ist. Da hat sie Übung. Aber eine Kunst ist das nicht.