Leitartikel

Die Sprache des Respekts

Jan Sellner

Am Eingang zum Schloss Hohentübingen befindet sich ein Restaurant namens Mauganeschtle. Davor steht eine Bank. Darüber hängt die Aufschrift: „Dohoggeddiadiaemmerdohogged.“

Volles Verständnis, wenn Sie als eine dem Dialekt fernstehende Person an dieser Stelle kehrtmachen und den Text verlassen. Zugleich sind Sie herzlich eingeladen, die Übersetzungshilfe eines Schwaben in Anspruch zu nehmen, der sich vor besagtem Restaurant an seine nichtschwäbische Begleitung wandte und diese schmunzelnd fragte: „Woischt du, was des hoißt?“ Auf ihr Kopfschütteln hin buchstabierte er in Hochdeutsch: „Da sitzen die, die immer da sitzen.“ Schwieriger ist es mit dem Mauganeschtle, einem wunderbaren Beispiel für schwäbische Lautmalerei des späten 19. und auch noch des 20. Jahrhunderts. Am ehesten übersetzt man es wohl mit „Versteck für einen heimlich (hälinga) angesammelten Vorrat“.

Grundschulkinder braucht man das gar nicht erst zu fragen. In ihren Ohren klingt die Sprache derjenigen, diaemmerdohogged und ins Mauganeschtle einkehren, fremd und unverständlich. Das bestätigt die vom Tübinger Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaften jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Schloss Hohentübingen und dem Mauganeschtle vorgestellte Befragung von Erst- und Zweitklässlern in Baden-Württemberg. Die überwiegende Mehrzahl der Kinder, so geht aus der Untersuchung hervor, wächst ohne Bezug zur Mundart auf. Es sei denn, sie kommen von der Ostalb, einem Hort des Schwäbischen! Dort, in gebührender Entfernung zur Großstadt, spricht heute noch mehr als die Hälfte der Sieben- und Achtjährigen mehr oder weniger stark Dialekt. Auch anderswo, etwa in Hohenlohe oder in Oberschwaben, wird Mundart gepflegt und weitergegeben. Aufs Ganze gesehen, ist der Schwund jedoch offenkundig. Die Dialektschmelze vollzieht sich in ähnlicher Geschwindigkeit wie die der Gletscher – nämlich innerhalb weniger Generationen. Spöttisch könnte man anmerken: kein Wunder. Bei den Vorbildern! Auch die Erwachsenen sind ja inzwischen bei „The Länd“ angekommen.

Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig. Herkunft spielt eine Rolle. Längst nicht alle Kinder stammen von der Ostalb. Baden-Württemberg ist vielfältiger und vielgesichtiger geworden. Darin liegen große Chancen. Auch für die Mehrsprachigkeit. Am Wichtigsten ist ohnehin, dass Kinder die Sprache des Respekts und der Toleranz lernen. Auch als Erwachsener lernt man in dieser Hinsicht nie aus. Umso unverständlicher ist es, dass der Dialekt fortgesetzt unter Rechtfertigungsdruck steht. Noch immer gilt die Mundart vielen als etwas Minderwertiges. Der Hinweis, dieses oder jenes bitte noch mal „schöner zu sagen“, also auf Hochdeutsch, ist nichts anderes als eine höfliche Form der Missachtung. Dabei gibt es in Wahrheit viele Möglichkeiten, etwas auszudrücken. Ausgeblendet wird zudem, dass sich Sprachvermögen auch darin zeigt, zwischen verschiedenen Sprachfärbungen wechseln zu können: mal Standard, mal Dialekt, mal Regiolekt, wie die Lightversion der Mundart bezeichnet wird. Die Tatsache, dass viele Lehrerinnen und Lehrer zu der Einschätzung gelangen, es sei für Kinder „nicht vorteilhaft“, Schwäbisch, Alemannisch oder Kurpfälzisch zu sprechen, ist ein Armutszeugnis.

Natürlich geht die Mundart zurück. Trotzdem wird sie nicht sterben. So wenig wie die gedruckte Zeitung. Oder andere Kulturgüter. Wie meinte eine Schwäbin angesichts der aktuellen Weltlage: „Wenn bloß dr Hemmel hebt!“ Das kann man auch anders sagen. Aber sicher nicht schöner!