Genuss-Sache

Kaltes an heißen Tagen

Anja Wasserbäch

Es ist warm, viel zu warm. Natürlich wissen wir alle, dass das schlimm ist. Für die Welt und für uns alle. Dieser Wandel ändert vieles. Er könnte auch unseren Speiseplan ändern. Gerade jetzt, wo es auf dem Wochenmarkt die besten Tomaten gibt, der Schrebergarten den Wettbewerb „Wer hat die größten Zucchini?“ gestartet hat, die Außentemperatur sich der Körpertemperatur annähert, kommen manche Menschen auf die Idee, Käsespätzle in der Kantine zu essen oder sich mit schwitzigen Köpfen an den Grill zu stellen, um der roten Wurst eine durchgehende Bräune zu verschaffen?

Trinken, trinken, trinken – lauten die drei Tipps, auf die Verlass ist. Die Flüssigkeitsaufnahme funktioniert auch über Essen: Wassermelone und Gurken haben so viel Wasser, dass die sich auf dem Speiseplan auch gut machen. Und da es sowieso zu warm zum Kochen ist, bieten sich nicht nur Salate mit beiden Zutaten an. Zu Melonenstücken passen Fetastücke und Minzeblättchen, Gurke ist ganz klassisch mit Dill eine unschlagbare Kombination.

Wer aus allen Welten das Beste bei den zu heißen Temperaturen zusammenfügen möchte, wagt sich an eine kalte Suppe, die in Russland Okroschka genannt wird. Dazu braucht es nicht unbedingt Wurst (wie in vielen Rezepten angeben wird), aber unbedingt Pellkartoffeln, Eier, Radieschen, Gurke, Buttermilch, Schmand, Knoblauch, Dill, Schnittlauch, Senf, Salz, Pfeffer.

Kartoffeln und Eier lassen sich im Voraus kochen. Ansonsten braucht es den Herd nicht mehr, spart also auch Strom oder Gas. Buttermilch, Schmand, Senf, Salz und Pfeffer mischen, gepressten Knoblauch dazu. Und in die Suppe kommen die klein geschnittenen Eier, Kartoffeln und Gurken, darüber fein gehobelte Radieschen, der fein geschnittene Dill und Schnittlauch. Es ist wirklich das perfekte Essen bei unerträglichen Temperaturen, bei denen man nicht stundenlang am Herd stehen kann.




DINGE DER WOCHE

Anleitung zum Glücklichsein

Tom Hörner

Klar, man müsste in diesen Tagen über die Hitze schreiben, setzt sie doch auch dem Hirn zu und lässt so manche Kurznachricht komisch erscheinen. „Öffentliche Grillstellen wegen Brandgefahr gesperrt“, textet die Stadt Stuttgart diese Woche auf Twitter. Den routinierten Griller stürzt der Satz in eine Sinnkrise. Besteht der Zweck einer Grillstelle nicht gerade darin, dass es dort brennt?

Eigentlich habe ich anderes zu tun, als mich mit Brandherden herumzuschlagen. Ich soll eine Rede auf einer Hochzeit halten. Nicht zu lang, nicht altbacken, zeitgemäß. Hier ein Entwurf:

„Liebes Brautpaar, liebe Festgäste, bevor ich den beiden jungen Leuten alles Gute wünsche, lassen Sie uns kurz über den Begriff ‚Brautpaar‘ nachdenken. Keine Frage, wir haben es hier mit einer Braut zu tun. Aber sitzt an ihrer Seite nicht auch ein Bräutigam, ein junger Mann im feschen Anzug? Wo, so frage ich euch, taucht der bei ‚Brautpaar‘ auf? Im Moment mag das niemanden stören, aber ist so eine Ehe nicht auch als Langzeitprojekt gedacht? Womöglich ist ‚Braut‘ jener mikroaggressiv-aufgeladene Keim, der Jahre später seine verletzende Wirkung entfalten wird.

Deshalb, liebe Gästinnen, liebe Gäste, vergessen wir das bisher Gehörte. Liebe Frischvermählte, es ist schön, hier einem Fest zweier Menschen beiwohnen zu dürfen, die beschlossen haben, den Lebensweg auf Augenhöhe miteinander zu gehen. Hier hat ein junger Mensch nicht auf altmodische Art um die Hand einer jungen Frau angehalten. Er hat Realitätssinn an den Tag gelegt und tat es so: ,Kannst du dir vorstellen, die nächsten Jahre mit mir zu verbringen, gemeinsam mit mir Kinder in die Welt zu setzen, die ich Jahre später dann jedes zweite Wochenende sehen darf?‘

Aber auch Sie, liebe Hochzeitsgästinnen und -gäste, haben, wenn der Blick auf den Präsenttisch nicht täuscht, Realitätssinn bewiesen: Ich sehe Gasflaschen, Solarpanels, kurzum alles, was ein junges Paar braucht, um durch den Winter zu kommen. Offenbar hat sich herumgesprochen, dass die Verheirateten in Erwartung sind. Nein, um Kinder geht es noch nicht. Die Rede ist von einem Elektroauto, was einem Scherzbold zu Ohren gekommen sein muss, weshalb er aus der Nordsee etliche Kilo Watt angeschleppt hat. Bei so viel Frohsinn bin ich trotz angespannter Welt­lage guten Mutes, dass dem jungen Glück nichts im Wege steht.“

Bin mir nicht sicher, ob ich mit der Rede ins Rennen gehe. Sollten Sie, liebe Leserinnen und Leser, auch eine Hochzeitsrede halten müssen, Sie dürfen sich gern bedienen. Falls es schiefgeht, lassen Sie am besten die Quelle weg.



ADRIENNE BRAUN

Warme Stühle sind eklig

Adrienne Braun

Auch wenn mich jetzt einige für etepetete halten werden, für so eine zimperliche Person, die mit gerümpfter Nase durchs Leben geht, aber es gibt Dinge, die stören mich – zum Beispiel, wenn in der Mülltonne am Boden eine sumpfige, faulige, stinkende Brühe schwappt, in der die Abfälle schwimmen. Wenn einem beim Öffnen des Deckels dann noch Würmer entgegenkrabbeln, finde ich das sogar richtig eklig. Gegen Tiere habe ich an sich zwar nichts – in der Mülltonne brauche ich sie aber nicht.

Meine Nachbarn scheint das dagegen nicht zu stören. Sie werfen ihre Tüten in die stinkende Suppe und widmen sich wieder Schönerem. Trotzdem muss das nicht bedeuten, dass sie per se unreinlich wären. Vielleicht sind sie in Wahrheit sogar reinlicher als ich. Denn ich bekenne: Wenn ich im Zug auf die Toilette gehe, mache ich keine komplizierten Verrenkungen, um die Tür irgendwie mit dem Po aufzubekommen – sondern drücke die Klinke einfach mit der Hand runter.

Ekel und Aversion sollen ja wichtige Schutzmechanismen sein, um unsereinen vor großen Gefahren zu bewahren. Deshalb setzt sich der Neandertaler in uns so ungern auf einen Stuhl, der noch vom Vorgänger warm ist. Es könnte ja sein, dass da eben noch ein Gorilla drauf saß, der gleich aus den Büschen springt und uns eins überbrät.

Die ganz große Gefahr geht bei einer Freundin allerdings vom Spüllappen aus, den sie bereits auskocht, bevor sie ihn überhaupt richtig benutzt hat. Dafür fasst sie Regenwürmer mit bloßen Fingern an, während mein genetisches Programm schon beim Anblick von Würmern Schnappatmung auslöst. Vor allem, wenn sie mir aus der Mülltonne entgegenkriechen.

Übrigens finden viele Menschen das Quietschen von Styropor nur deshalb so scheußlich, weil Töne zwischen 2000 und 5000 Hertz ihr archaisches Gehirn an Warnschreie von Schimpansen erinnern. Die Freundin wittert zwar bei angewärmten Stühlen Gorillagefahr, Schimpansen scheint es bei ihren Vorfahren aber nicht gegeben zu haben. Deshalb muckt sie nicht mal auf, wenn man mit Kreide so richtig fies über die Tafel kratzt. Aber vielleicht ist sie auch einfach nur besonders zivilisiert. Da die Menschheit schon so oft auf warmen Stühlen vergeblich auf Gorillas gewartet hat, ekelt sich der moderne, fortschrittliche Mensch heute vor anderen Dingen. Zum Beispiel vor Teergeruch. Oder sogar vor Knöpfen.

Deshalb habe ich eine Vermutung, warum unser Müll bei meinen Nachbarn keinen archaischen Ekelalarm auslöst. Sie sind einfach zu zivilisiert – und leiden deshalb unter Trypophobie. Das ist eine Aversion gegen Löcher. Die stinkende Suppe kann sie also gar nicht stören – weil sie aus Angst vor dem tiefen, schwarzen Loch den Mülltonnendeckel immer ganz schnell wieder zumachen.