Leitartikel

Benedikt, der Glücklose

Markus Brauer

Am Anfang war das Staunen. Über die Wahl eines Deutschen ins höchste Amt der katholischen Kirche. „Wir sind Papst!“, titelte die „Bild“-Zeitung einen Tag nach dem Konklave am 20. April 2005. Joseph Ratzinger, der sich fortan Benedikt XVI. nannte, war 24 Jahre lang der mächtige und gestrenge Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation gewesen. Die Kardinäle sahen in ihm vor allem ein Bollwerk gegen den Unglauben.

Was anfangs folgte, waren Jubel und „Benedetto“-Rufe – wie im August 2005 auf dem Weltjugendtag in Köln. Doch die Hochstimmung wich bald ersten kritischen Stimmen – zu Recht. Als Benedikt 2006 seine bayerische Heimat besuchte, löste ein islamkritisches Zitat während einer Rede an der Universität Regensburg in der islamischen Welt helle Empörung aus. Es sollte nicht das letzte öffentliche Debakel bleiben. 2010 stürzte die Kirche in eine ihrer schwersten Krisen. Schrittweise kamen jahrzehntelanger Kindesmissbrauch durch Kleriker und Vertuschung durch die Institution ans Licht. Aufrichtig und ernsthaft um Aufklärung und Reue bemüht, setzte sich Benedikt für die Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden ein. Doch zu viele in der Kirche opponierten.

Dieses Pontifikat liest sich im Rückblick wie eine Serie von Pleiten, Pech und Pannen. 2012 wurde der Vatikan vom nächsten Skandal – „Vatileaks“ – erschüttert. Vertrauliche Briefe wurden vom päpstlichen Schreibtisch gestohlen und an Journalisten weitergereicht. In den Unterlagen ging es um Korruption, Missmanagement und Günstlingswirtschaft im Kirchenstaat. Wieder fehlte es Benedikt am Willen, mit dem eisernen Besen durch den Vatikan zu kehren.

Auch nach seinem Rücktritt im Februar 2013 blieb er mit Missbrauchsskandalen konfrontiert. Ein Gutachten warf ihm vor, in seiner Zeit als Erzbischof von München und Freising in vier Fällen von sexuellem Missbrauch eines Geistlichen an Kindern Fehler gemacht zu haben. Später entschuldigte er sich bei den Opfern – zu spät und erst, nachdem man ihm eine Lüge vorgeworfen hatte.

Was bleibt von diesem Pontifikat? Vor allem der letzte Akt: ein radikaler, revolutionärer Schritt. Der 265. Nachfolger Petri geht in Pension – freiwillig, ohne Druck von außen oder todbringende Krankheit. Aus Einsicht in die eigene Schwachheit, sein Scheitern, die Grenzen pontifikaler Macht. Der Rücktritt zeugte von Größe, Demut und Abstand zur Welt, die Joseph Ratzinger als Mensch stets auszeichneten. Doch für das Machtamt des Papstes, der führen, dirigieren und entscheiden muss, war das zu wenig. Im Duett mit dem medialen Menschenfischer Johannes Paul II. konnte er seine intellektuelle Brillanz in die Waagschale werfen. Doch als Papst agierte er glücklos und tragisch. Das Rettungsprojekt, das er als Kardinal begonnen hatte und als Papst fortführen wollte, die geistige und geistliche Erneuerung der Kirche, blieb in den Anfängen stecken. Auch Benedikt konnte den Bruch der Kirche mit der modernen Welt und den Rückzug ins Getto des Glaubens nicht aufhalten. Die Distanz vieler Katholiken zur Kirche ist größer denn je, die Verbitterung über Abschottung und Stillstand ist gewachsen.

Benedikt XVI. wird als glückloser Übergangspapst in die Kirchengeschichte eingehen, der dieses Amt nie wollte. „Ich habe mit tiefer Überzeugung zum Herrn gesagt: Tu mir dies nicht an! Du hast Jüngere und Bessere“, bekannte er kurz nach seiner Wahl. Er trat zurück, damit ein anderer es besser machen könnte: Jorge Mario Bergoglio, der sich seit seiner Wahl am 13. März 2013 Franziskus nennt. Wie wird man wohl dereinst über diesen Papst urteilen?