Armin Käfer
Stuttgart
Mit Party hat das ganz gewiss nichts mehr zu tun: Von der ersten Silvesternacht nach den Ausnahmezuständen der Coronazeit bleiben verstörende Bilder in Erinnerung. In Berlin und anderswo wurden Feuerwehrleute, Polizeibeamte und Rettungskräfte mit Böllern, Wurfgeschossen und Eisenstangen attackiert. Dutzende sind verletzt, einzelne schwer. Das neue Jahr hat vielerorts mit Randale begonnen. Bei manchen schlagen ausufernde Feierlaune oder übermäßiger Alkoholkonsum in menschenverachtenden Furor um.
Die Bilanz solcher Gewaltorgien sprengt den Rahmen jugendlichen Rowdytums. Pyrotechnik wird ganz gezielt als Waffe gegen Einsatzkräfte eingesetzt. Die Krawalle vermitteln ein Kaleidoskop der Verrohung. Sie erwecken den Eindruck einer schieren Lust an der Eskalation. Sprösslinge und Schattenexistenzen unserer Wohlstandsgesellschaft toben just an einem ihrer höchsten Feiertage eine gesteigerte Form des Wutbürgertumsaus. Hier entleert sich ein Überdruss, für den es keinen Rechtfertigungsgrund geben kann. Mit Coronafrust, Nachholbedarf beim Böllern oder einer durch die Restriktionen des Seuchenregiments befeuerten Unzufriedenheit lassen sich diese Übergriffe jedenfalls nur unzureichend erklären – und schon gar nicht entschuldigen. Die Rage verrät eine unfassbare Respektlosigkeitgegenüber Ordnungshütern und Menschen, die Dienst leisten, während die übrigen feiern. Wer Helfer attackiert, ohne die solche Festivitäten in Massen gar nicht möglich wären, trägt mit seiner Respektlosigkeit obendrein schlichte Hirnlosigkeit zur Schau.
Leider handelt es sich nicht um rare Einzelfälle – so wie auch die Stuttgarter Krawallnacht im Sommer 2020 kein völlig singuläres Ereignis war. Die Zahl der Attacken gegen Polizei und Rettungskräfte steigt seit vielen Jahren. Gefühlte soziale Benachteiligung, Misstrauen gegen uniformierte Kräfte oder ein unartikuliertes politisches Rebellentum taugen jedenfalls nicht als Legitimation. Was kann ein Feuerwehrmann für all das vermeintliche Unrecht, was den irrationalen Zorn befeuern mag, der sich bei solchen Eskalationen entlädt?
Und was lässt sich dagegen tun? Bei der Suche nach einer Strategie, wie sich solche Gewalteruptionen vermeiden ließen, sollten die tatsächlichen und potenziellen Opfer im Vordergrund stehen. Eine Sozialpädagogik, die mit hilflosen Erklärungsversuchen Schuldfragen überblendet, wäre jedenfalls fehl am Platz. Härtere Strafen zu fordern ist aber auch nicht mehr als ein wohlfeiles Ritual, da die einschlägigen Vorschriften wiederholt verschärft worden sind, ohne Krawallbrüder erkennbar zu beeindrucken. Strafandrohungen bewirken wenig, solange sie nur als theoretische Eventualität im Raum stehen, aber allzu selten oder viel zu spät vollstreckt werden. Der Polizei und den Justizbehörden mangelt es an Kapazitäten, um Tatverdächtige mit der nötigen Konsequenz zu ermitteln. Deshalb wären mehr Personal und ausreichende Technik zur Dokumentation einschlägiger Übergriffe (Videoüberwachung und Bodykameras) wichtiger als novellierte Paragrafen.
Für ein Böllerverbot auf zentralen öffentlichen Plätzen, wie es die Polizeigewerkschaft fordert, sprächen viele vernünftige Gründe, nicht nur die üblen Erfahrungen dieser Silvesternacht. Den Leuten, die hinter den Schleiern des Feuerwerksqualms eine unbegreifliche Aggression gegen Helfer entfalten, geht es ohnehin nur um einen sehr perversen Spaß. Am Ende bleibt die Frage, ob die große Mehrheit der friedfertig Feiernden sich von solchen Minderheiten die Silvestertraditionen verderben lassen will.