Thomas Spang
Zwei Jahre nach dem Sturm auf den US-Kongress besteht kein Zweifel mehr daran, was an jenem Tag geschehen war. Es handelte sich nicht um einen außer Kontrolle geratenen Protest enttäuschter Anhänger des abgewählten Donald Trump. Auch die anfängliche, verharmlosende Einschätzung einiger Beobachter, dass es sich um den Angriff nicht ernst zu nehmender Clowns gehandelt habe, wird den Ereignissen nicht gerecht.
Dank der akribischen Aufarbeitung des Untersuchungsausschusses zum 6. Januar über die vergangenen 18 Monate lässt sich dieser Tag korrekterweise nur als versuchter Staatsstreich beschreiben. Dass der von Trump inszenierte Putsch scheiterte, macht diese Breitseite auf die Demokratie in Amerika dabei nicht weniger bedeutsam. Es war das erste Mal in der Geschichte der USA, dass ein bei freien und fairen Wahlen unterlegener Präsident den Willen des Volkes nicht akzeptieren wollte.
Dieser einmalige Vorgang verlangt eine eindeutige Antwort des Rechtsstaats. Verglichen mit den Foltervorwürfen gegen George W. Bush während des „Kriegs gegen den Terror“ oder der Rolle Richard Nixons im Watergate-Skandal lässt sich der versuchte Staatsstreich Trumps nicht mit dem Argument der Staatsräson abhaken. Dies käme einer Einladung an den nächsten Möchtegern-Autokraten gleich, es bei nächster Gelegenheit wieder zu versuchen.
So wichtig es ist, den Ex-Präsidenten strafrechtlich für seine Rolle bei dem versuchten Coup zur Verantwortung zu ziehen, so gefährlich wäre es, die Aufarbeitung des 6. Januar auf Donald Trump zu reduzieren. Der Abschlussbericht des Komitees könnte dazu verleiten, weil er immer wieder den mutmaßlichen Drahtzieher in den Fokus rückt.
Gewiss, ohne Trump wäre es nicht zu diesem letzten gewaltsamen Akt gekommen. Richtig ist aber auch, dass der „Make America great again“-Führer allein nicht dazu in der Lage gewesen wäre. Er benötigte dafür Juristen der Sorte Rudy Giuliani, John Eastman oder Cleta Mitchell, die ihm halfen, das Recht bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen.
Bereit standen auch Dutzende Abgeordnete der Republikaner im US-Kongress, die mit Trumps Stabschef Mark Meadows Ideen diskutierten, wie der Wählerwillen ignoriert werden könnte. Ralph Norman aus South Carolina schlug etwa vor, der abgewählte Präsident sollte das Kriegsrecht ausrufen. Dass mit Jim Jordan einer dieser Mitverschwörer auf dem Sprung steht, die Führung des Justizausschusses im neuen Repräsentantenhaus zu übernehmen, illustriert die Dimension des Problems.
Im neuen Kongress ist die Zahl der Wahlleugner insgesamt sogar gewachsen. Als ob 139 Repräsentanten und acht Senatoren der Republikaner nicht schon genug wären, die am 6. Januar die Beglaubigung des Wahlsiegers Joe Biden basierend auf der „großen Lüge“ von den angeblich gestohlenen Wahlen verweigerten. Nicht zu vergessen, die 17 republikanischen Justizminister in den Bundesstaaten, die auf dem Klageweg versucht hatten, für Trump die Wahlergebnisse in Schlüsselstaaten zu kippen.
Hinzu kommen Tausende Proud Boys, Oath-Keepers, Three-Percenters oder andere rechte Gruppierungen, die Trump noch heute treu zur Seite stehen. Der Ex-Präsident kommandierte dieses Netzwerk aus antidemokratischen Helfershelfern, die alle gemeinsam den 6. Januar 2021 möglich gemacht hatten.
Die nächste Phase der Aufarbeitung muss sich auch mit diesem Sumpf befassen – damit die amerikanische Demokratie auf Dauer wehrhaft bleibt.