Armin Käfer
Im Verlauf dieses Jahres könnte Winfried Kretschmann seinen Status als politisches Unikum verlieren. Er ist bisher der einzige Grünen-Ministerpräsident der Republik. Dieses Alleinstellungsmerkmal machen ihm eine Parteifreundin in Berlin und ein Kollege in Hessen streitig. Dort wird 2023 gewählt. Wenn die Grünen an den Urnen zur Abwechslung mal besser abschneiden als bei Umfragen, könnten sie bald in drei Ländern den Regierungschef stellen. Die politische Konkurrenz blickt auf dieses Wahljahr weniger hoffnungsvoll, eher voller Bangen.
Zittern wird zunächst die Regierende Bürgermeisterin in Berlin, Franziska Giffey. Womöglich muss die SPD-Frau den Murks ausbaden, den ihre Genossen bei der letzten regulären Wahl im Herbst 2021 angerichtet haben. Die Pannenbilanz von damals erinnert an eine Bananenrepublik. Deshalb muss die Wahl nun wiederholt werden – eine beispiellose Blamage. Giffeys Posten wackelt.
Markus Söder, CSU-Ministerpräsident in Bayern, muss weniger um seinen Job zittern, vielmehr um seine künftigen Karriereperspektiven. Wenn seine Partei im Herbst ähnlich bescheidene Ergebnisse wie bei Söders Premiere als Spitzenkandidat vor gut vier Jahren verbucht, kann seine Zeit als Zampano der Union bald vorbei sein.
Für die Partei des Kanzlers wird 2023 in dreierlei Hinsicht ein schwieriges Wahljahr. Das beginnt mit Umfragewerten in Berlin, die darauf hindeuten, dass die Grünen oder gar die Christdemokraten ihr dort den Rang als stärkste Partei ablaufen könnten. Eine Pleite in der Hauptstadt hätte enormes Frustrationspotenzial. Ein Wahlsieg in Bremen wenige Wochen später ist hingegen schon eingepreist und könnte eine solche Schlappe keinesfalls wettmachen. Eingepreist ist auch ein Diaspora-Ergebnis in Bayern, wo die Genossen nur Randfiguren sind und ein Wahlresultat im einstelligen Bereich befürchten müssen, weil ihnen die Grünen auch dort das Wasser abgraben. Mit Schwierigkeiten ganz anderer Art ist die Wahl in Hessen verbunden. Dort entscheidet sich demnächst, ob Bundesinnenministerin Nancy Faeser als Spitzenkandidatin antritt. Nur mit ihr hätte die SPD reelle Chancen, die Staatskanzlei in Wiesbaden nach 24 Jahren wieder zurückzuerobern. Faeser ist aber auf sozialdemokratischer Seite eine der Besten im Kabinett von Olaf Scholz – ähnlich kompetenter Ersatz ist nicht in Sicht, zumal der Ersatz nach Ampelarithmetik weiblich sein müsste. Die glücklose Verteidigungsministerin Christine Lambrecht würde wohl gerne das Ressort wechseln. Aber damit hätte Scholz gleich zwei Probleme: eine angeschlagene Ministerin auf einem heiklen Posten und eine vergleichbar schwierige Vakanz.
Für die Union werden die heraufziehenden Wahlkämpfe eher Abwehrschlachten. In Berlin liegt ein CDU-Kandidat ganz gut im Rennen, dem die Parteispitze den Triumph nicht gönnt, der zudem mangels koalitionswilliger Regierungspartner allenfalls einen symbolischen Erfolg verbuchen könnte. In Bayern geht es um die Frage, ob die CSU von ihrer alten Größe nur noch träumen darf. Je schwieriger die Ausgangslage, desto unberechenbarer wird Söders politisches Gebaren. In Hessen ist Ministerpräsident Boris Rhein bisher farblos geblieben. Faeser könnte ihn aus dem Sessel kippen – das wäre die Umkehr einer Erfolgsgeschichte, die einst mit dem umstrittenen Roland Koch begonnen hat.
Eine kleine Unbekannte bleibt die AfD. Kann sie vom Frust mancher Wähler wegen Inflation und anderer Kollateralschäden der Dauerkrise profitieren? Oder droht ihr gar ein Verbotsverfahren? So oder so: Letztlich liegt die Entscheidung beim Souverän.