Leitartikel

Union sucht sich noch selbst

Armin Käfer

Wenn am nächsten Sonntag ein neuer Bundestag zu wählen wäre, hätte die Union gute Chancen, wieder das Kanzleramt zu übernehmen. Laut aktuellen Umfragen liegt sie bundesweit klar vorn. Die Partei des amtierenden Kanzlers rangiert weit dahinter. Wenn es darum ginge, wer diesen beerben sollte, wäre CDU-Chef Friedrich Merz intern wenigstens für den Moment wohl konkurrenzlos.

Die Umfragewerte spiegeln aber ein trügerisches Bild. Tatsächlich liegen sie weit unter dem gewohnten Niveau. Doch die Union hat nach Ansicht von Demoskopen mit diesen bescheidenen Zahlen ihr aktuelles Wählerpotenzial maximal ausgeschöpft.

Ob es gut für die Unionisten wäre, jetzt wieder die Macht übernehmen zu können, steht ohnehin auf einem ganz anderen Blatt. Opposition ist für sie keineswegs Mist, wie ein machiavellistischer Lehrsatz des früheren SPD-Chefs Franz Müntefering behauptet. Opposition gibt Merz und seiner schwarzen Riege vielmehr Zeit zur Selbstfindung. Bei der Suche nach ihrem Markenkern und einem Profil, was sie unverwechselbar und für jüngere Wähler attraktiv erscheinen lässt, sind Merz und seine CDU noch nicht weit vorangekommen. Im Gegenteil, weder die Partei noch ihr Vorsitzender erwecken den Eindruck, sie hätten ihre neue Mitte schon gefunden. Programmatisch haben sie die Wahlblamage längst nicht überwunden.

Merz selbst hat seine Partei einmal als „insolvenzgefährdeten Sanierungsfall“ beschrieben. Da war er noch nicht ihr Insolvenzverwalter. Die Sanierung hat jedenfalls erst begonnen. Wer glaubt, das müsse in einem Jahr zu schaffen sein, verrät völlige ­Ignoranz für das komplexe Innenleben einer Volkspartei. Die CDU hat programmatische Fragen stets zugunsten pragmatischen Regierens vernachlässigt. Das rächt sich, wenn Regieren gerade nicht auf der Tagesordnung steht. Angela Merkel, die von inhaltlichen Diskursen ohnehin wenig hielt, hat ihre Partei als inhaltsleere Hülle hinterlassen.

So erscheint die CDU aktuell wie eine Versammlung von Fragezeichen. Sie vertritt mal diese, mal jene Position, wenn es um die Rolle des Staates, Fragen der Freiheit, Identitäts- und Flüchtlingspolitik oder das Thema soziale Gerechtigkeit geht. Alle Diskussionen über das eigene Selbstverständnis haben offenbart, dass sie mehr Widersprüche als Übereinstimmung hinter ihrem Parteilogo vereint. Das zeigte sich bei den Disputen über Frauenquote, Dienstpflicht, Staatsbürgerschaft, Gleichstellung oder Gleichberechtigung. Wo will sie neues Wählerpotenzial erschließen: beim modernen Bürgertum oder bei frustrierten Konservativen, denen die AfD zu extremistisch wird?

Merz selbst verkörpert diesen Zwiespalt. Er enttäuscht gerade seine treuesten Fans und muss das auch, weil das Universum der Union weit über das Denkrevier eingefleischter Merzianer hinausreicht. Merz darf gar nicht so sehr Merz sein, wie er es selbst vielleicht gerne wäre und seine Anhänger es sich wünschen würden. Als Oppositionsführer weiß er zu punkten. Ob er zum Kanzlerkandidaten taugt, bleibt offen. Als Parteichef steht er jedenfalls noch ganz am Anfang seiner Mission eines Updates der Union, das den Ansprüchen der Zeit, aber auch den eigenen Traditionen genügt.

Die Mission wird womöglich erschwert durch die Wahl in Bayern. Sobald die CSU dort ihre Übermacht in Gefahr sieht, wird ihr Chef, Ministerpräsident Markus Söder, wie eine Flipperkugel zwischen populistischen Positionen hin- und herschnellen. Wenn es gut läuft, wird Söder das als Omen für die Kanzlerkandidatur deuten. Für die CDU ruhen vorerst aber alle Hoffnungen auf Merz.