Gunther Reinhardt
Das lineare Fernsehen ist dem Untergang geweiht. Die traditionelle TV-Welt, die Familien einst bei Krimis oder Unterhaltungsshows auf die Sofas vor den Fernsehapparaten lockte und die uns noch heute vorschreiben will, wann wir was schauen dürfen, gibt es bald nicht mehr.
Das ist keine Behauptung eines Teenies der Generation Youtube, dessen Aufmerksamkeitsspanne nach einem 15-Sekunden-Tanzclip auf Tiktok erschöpft ist. Und das ist auch nicht die Meinung eines dieser Qualitäts-TV-Fetischisten, die glauben, gute Filme und Serien seien eine Erfindung von Streamingdiensten wie Netflix. Nein, das sagen Kurt Krömer und Kai Gniffke.
Der Comedian Krömer, der sein Einkommen vor allem dem Rundfunkbeitrag verdankt, behauptet in der Zeitung „Tagesspiegel“, dass das lineare Angebot des öffentlich-rechtlichen Fernsehens ein sinkendes Schiff sei: „Der Maschinenraum dieser ‚Titanic‘ ist mit Wasser vollgelaufen.“
Und auch der SWR-Intendant Kai Gniffke, der als der aktuelle ARD-Vorsitzende der Kapitän des öffentlich-rechtlichen Ozeandampfers ist,verrät im Magazin „Spiegel“: „Ich habe keinerlei Hoffnung, dass wir durch eine Veränderung des linearen SWR-Programms das Publikum massiv verjüngen. Der Zug ist abgefahren.“
Doch ist das Linear-TV wirklich ein Auslaufmodell, das nur noch als Beschäftigungsprogramm für Senioren taugt? Nein! Immer noch kommt für die Publikumsmehrheit das lineare Fernsehen bei der TV-Nutzung an erster Stelle. Immer noch kaufen viele Menschen Programmzeitschriften oder lassen sich von den Sendern ihres Vertrauens vorschlagen, wann sie was schauen könnten. Doch die Macht des Schau-was-du-willst-wann-immer-du-willst der Streamingdienste und Mediatheken nimmt zu.
Solange die „Tageschau“ um 20 Uhr und der „Tatort“ am Sonntag eine Institution sind, ist das lineare Fernsehen zwar noch nicht tot, zum Ereignis taugt es aber nur noch selten. Etwa an diesem Freitag. Dann startet bei RTL die 16. Staffel des Trash-TV-Klassikers „Dschungelcamp“. Und die sozialen Medien werden zwei Wochen lang aufgeregt live und in Farbe dieses Fest der Scham- und Geschmacklosigkeit begleiten.
Wie anders waren da doch einstige TV-Ereignisse: Als in den 1960ern der Krimi-Sechsteiler „Das Halstuch“ von Francis Durbridge die Straßen leer fegte; als in den 1970ern Rudi Carrells „Am laufenden Band“ Familienpflichtprogramm war; als in den 1980ern der „Wetten, dass . .?“-Aufstieg begann. Selbst wenn man damals allein vorm Fernseher saß, fühlte man sich als Teil einer großen Gemeinschaft. Weil die Sendungen in den Folgetagen überall Gesprächsthema waren: Wer war der Mörder? Was hat sich hinter dem Fragezeichen verborgen? Was war die coolste Wette?
Von Freitag an wird es dagegen darum gehen, welche Ekelprüfung die schlimmste war oder wann sich welche Influencerin oder Ex-Ehefrau nackig gemacht hat. Nur dem Trash-TV in Form von „Der Bachelor“, „Das Sommerhaus der Stars“, „Germany’s Next Top Model“ oder eben „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ gelingt es noch, Zuschauerinnen und Zuschauern zu suggerieren, Teil eines kollektives Erlebnisses zu sein.
Das Trash-TV mag zwar die letzte Bastion des linearen Fernsehens im Kampf gegen die Streamingwelt sein. Doch wenn das Fernsehen von gestern nur dadurch vor dem Untergang gerettet werden kann, dass vor laufenden Kameras der Untergang des Abendlandes inszeniert wird, ist es besser, wenn die Prognosen von Kurt Krömer und Kai Gniffke eher früher als später wahr werden.