Armin Käfer
Stuttgart
Die Schaufelradbagger, die sich nun an Lützerathherangraben, wühlen in einer offenen Wunde der Grünen. Für sie ist die von der Polizei exekutierte Räumung des Geisterdorfes ein Pyrrhussieg – nach antikem Vorbild heißt so ein Konflikt, dessen Bewältigung enorm teuer erkauft ist. Geltendem Recht, für das der grüne Vizekanzler Robert Habeckund seine NRW-Kollegin Mona Neubaur Verantwortung tragen, wurde zum Durchbruch verholfen. Die politischen Folgekosten für die Grünen sind jedoch unabsehbar. Die Scharmützel um Lützerath offenbaren eine Entfremdung zwischen dem grünen Establishment und dem politischen Vorfeld der Ökopartei.
Der Riss spaltet die eigenen Reihen. Er verläuft zwischen Aktivisten und deren vermeintlichen Repräsentanten – also zwischen Teilen der Basis und jenen, die in ihrem Namen Regierungsverantwortung tragen. Was sie trennt, ist auch eine Generationenfrage. Führende der Grünen Jugend opponierten in Lützerath gegen die Führungsetage ihrer Partei. Für Greta Thunberg, Leitfigur der grünen Enkelgeneration, bedeutet Lützerath „Verrat“, ein „Weg, der ins Nichts führt“ – Inbegriff einer angeblich verfehlten Klimapolitik. Habeck hält dagegen: Der Protest gelte einem „falschen Symbol“.
So verständlich der Unmut über weiteren Flächenfraß im Dienste klimaschädlicher Stromproduktion sein mag – stichhaltige Fakten sprechen für den Klimaschutzminister: Mit Lützerath werden das Existenzrecht von fünf Dörfern, der Verzicht auf 280 Millionen Tonnen Braunkohle, ein schnellerer Kohleausstieg, aber auch Energiesicherheit in schwierigen Zeiten erkauft. In Lützerath zeigt sich, dass es immer schwieriger wird, mit Argumenten und rechtsstaatlich unumstößlichen Beschlüssen gegen gefühlte Betroffenheit und emotionale Radikalität anzukämpfen. Schließlich geht es um eine existenzielle Frage schlechthin: das Überleben des Globus– damit lässt sich jede Rationalität ins Wanken bringen.
Der Kompromiss, dem Lützerath geopfert wird, bleibt für die Grünen eine schwere Hypothek. Ungeachtet der Stichhaltigkeit ihrer Argumente und einer gerichtsfesten Rechtslage verprellen sie damit potenziellen Nachwuchs und verunsichern selbst altgediente Anhänger. Das ist der Preis, der für die Teilhabe an der Macht zu zahlen ist. Greta Thunberg meint, „dass Parteipolitik die Klimakrise nicht lösen wird“. Wenn dem so wäre, dann wäre sie überhaupt nicht zu bewältigen. Ohne demokratische Mehrheiten lässt sich keine Klimawende herbeizwingen.
Wird Lützerath nun zum Hartz IV der Grünen? Schröders Sozialreformen kamen die SPD teuer zu stehen, so notwendig, unaufschiebbar und wenigstens zum Teil auch nützlich sie waren. Die Sozialdemokraten haben dafür schwer gebüßt. Für manche wurden sie unwählbar. Das Vertrauen traditioneller Milieus in die Partei ist erschüttert. Die Grünen haben ähnlich traumatische Momente schon überstanden, ohne zu zerbrechen: Sie wurden Kriegspartei trotz pazifistischer Wurzeln, haben gegen eigene Überzeugungen Autobahnen gebaut und verhasste Projekte wie Stuttgart 21 nahezu vollendet – geschadet hat es ihnen bisher nicht.
Möglicherweise wird Lützerath sie bei den anstehenden Landtagswahlen Stimmen kosten. In aktuellen Umfragen schlägt sich das noch nicht nieder. Bundesweit wird ohnehin erst 2025 wieder gewählt, in Nordrhein-Westfalen, dem Ort der Schlacht um den Kohleabbau, gar erst 2027.
Glaubwürdigkeit ist nicht mit Opportunismus zu erringen, nur mit einer langfristig überzeugenden Politik. Zerstörte Glaubwürdigkeit lässt sich aber schwer wieder kitten.