Thomas Faltin
Jetzt strahlen alle wieder um die Wette, Landwirte, Lebensmittelhändler und Landes- wie Bundesagrarminister: Nach zwei Jahren zwangsverordneter Coronapause wird diesen Freitag die Grüne Woche in Berlin, die weltweit wichtigste Messe für Ernährung und Landwirtschaft, eröffnet.
Allerdings: Im Grunde müsste doch allen zum Heulen sein. Denn die Landwirtschaft befindet sich in einer fundamentalen Krise. Stichwort Natur: Die vielen Pestizide tragen zum Artensterben bei, der Dünger gelangt zunehmend ins Grundwasser, und mit den riesigen Äckern entsteht eine immer stärker ausgeräumte Landschaft. Stichwort Tierhaltung: Unsere Gesellschaft akzeptiert immer weniger, wie wir Schweine und Hühner in enge Ställe pferchen und zum Massengut degradiert haben. Stichwort Klimawandel: Es regnet weniger, Spätfröste nach milden Tagen gefährden die Obsternte, und das Wintergetreide gedeiht nicht mehr so gut, weil der notwendige Kältereiz ausbleibt.
Und zu allem Überfluss kam vor einem Jahr noch der Ukraine-Krieg dazu, der eine längst überwunden geglaubte Frage wieder mit aller Macht aufwirft: Wie bezahlbar und wie sicher ist unsere Ernährung? Können wir uns jetzt den unbestreitbar notwendigen ökologischen Umbau der Landwirtschaft noch leisten, da wir doch schauen müssen, genügend Lebensmittel zu produzieren?
Aber der scheinbare Widerspruch ist keiner. Die Quadratur des Kreises ist möglich.
Es stimmt, dass die Erntemengen zurückgehen, wenn sich der Anteil des Ökolandbaus erhöht, was dringend nötig wäre. Und es stimmt, dass weniger Schweine und Rinder gehalten werden können und weniger Fleisch produziert wird, wenn die Vorschläge der Borchert-Kommission – einer Expertenrunde unter Vorsitz des Ex-Landwirtschaftsministers Jochen Borchert – für eine artgerechte Tierhaltung endlich Realität würden.
Aber derzeit wächst auf sage und schreibe 57 Prozent der deutschen Agrarflächen Futter für Tiere. Selbst wenn man die Wiesen nicht berücksichtigt, deren Gras Menschen nun mal nicht essen können: Auf den Äckern könnte man Lebensmittel für Menschen anbauen, wenn wir weniger Tiere halten und dementsprechend weniger Fleisch essen würden. Das würde uns gesundheitlich gut tun, dem Klima hilft es, und es kämen erhebliche Mengen an Lebensmitteln hinzu.
Daneben müsste die Politik endlich für Strukturen sorgen, die die Lebensmittelverschwendung eindämmen. Es ist ein Skandal, dass ein Drittel unseres Essens weggeworfen wird – dabei könnte man es, bevor es schlecht wird, in anderen Lebensmitteln oder zu Futtermitteln verarbeiten. Doch bisher fehlt dafür eine entsprechende Industrie.
Und wir sollten uns wohl von scheinbaren Ökogewissheiten verabschieden. Müssen wir wirklich Mais anbauen, um Biosprit und Biogas zu produzieren? Zwölf Prozent der Äcker werden so genutzt. Können wir vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob die Verteufelung der Gentechnik richtig ist? Und was spricht gegen „Indoor-Farming“, bei dem Gemüse in Gebäuden auf zwölf Stockwerken wächst, ohne Spritzmittel und ohne dass Dünger in die Umwelt gelangt?
Wir haben in Deutschland also viele Möglichkeiten, ausreichend Lebensmittel zu produzieren und gleichzeitig den Klima- und Artenschutz voranzubringen. Oft ergänzt sich das wunderbar. Aber dafür braucht es den Mut, die Landwirtschaft zu revolutionieren. Die kleinen Schritte, die wir derzeit tun, sind viel zu zaghaft und viel zu halbherzig. Die Landwirte jedenfalls stehen in den Startlöchern. Sie tun gerne mehr, brauchen aber Garantien, dass sie ihr Auskommen bewahren. Dafür muss die Politik jetzt sorgen.