Leitartikel

Deutschlands Verantwortung

Tobias Peter

Es ist aufrüttelnd und bewegend, wenn man dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zuhört. „Ihr seid doch erwachsene Leute“, sagt er. Und: „Sie können gerne noch sechs Monate lang so reden, aber bei uns sterben Menschen – jeden Tag.“ Seine eindeutige Botschaft lautet: „Im Klartext: Kannst du Leoparden liefern? Dann gib sie her!“

Bundeskanzler Olaf Scholz wirkt schon mal so unemotional wie ein Betonklotz. Oft wird ihm unterstellt, er sei bei der Lieferung von Kampfpanzern aus taktischen Gründen zögerlich, weil die Deutschen in dieser Frage gespalten sind. Das ist aber falsch. Der Kanzler agiert in der Frage zurückhaltend, weil er zwei unterschiedliche Dinge miteinander austarieren muss: den Wunsch, der Ukraine zu helfen, und die Verpflichtung, seinen Amtseid einzuhalten, Schaden vom eigenen Land abzuhalten.

Die Ukraine kämpft nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern für die freie Welt gegen den Aggressor Wladimir Putin. Es liegt im deutschen Interesse, sie zu unterstützen. Die Situation in der Ukraine ist dramatisch. Deutschland muss helfen, auch mit weiteren Waffen. Gleichzeitig ist Scholz dafür verantwortlich, dass Deutschland nicht selbst zur Kriegspartei wird. Die Entscheidung, der Ukraine Kampfpanzer westlicher Bauart zu liefern, wäre eine neue Wegmarke. Putin kann sie als neue Eskalationsstufe interpretieren. Deshalb ist es mehr als sinnvoll, diesen Weg gemeinsam mit den Verbündeten zu gehen – wenn man ihn einschlagen möchte.

Dass Bundeskanzler Olaf Scholz in einem solchen Fall die USA gern an der Seite hätte, ist klug. Und es ist auch richtig, dass er in ­Washington offenkundig für gemeinsames Handeln geworben hat. In sicherheitspolitischen Fragen sitzen die Vereinigten Staaten – das ist die Realität – noch immer auf dem Fahrersitz und wir weiter hinten im Auto. Eine bessere Sicherheitsgarantie, als im Gleichklang mit den USA zu handeln, gibt es für Deutschland momentan nicht.

US-Präsident Joe Biden ist aber bislang darauf festgelegt, keine Abrams-Kampfpanzer zu liefern – mit der Begründung, es handle sich um „ein sehr kompliziertes Rüstungsgut“, das für die Ukraine nicht handhabbar sei. An den Argumenten der USA ist, glaubt man Experten, einiges dran. Andererseits liegt der Verdacht nahe, dass es US-Präsident Joe Biden auch ganz recht ist, die Kampfpanzer-Frage so beantworten zu können.

Olaf Scholz befindet sich nun, ob er es will oder nicht, in einer zentralen Entscheidungsposition. Der Kanzler muss nicht nur die Frage beantworten, ob Deutschland selbst Kampfpanzer an die Ukraine liefert. Weil der Leopard 2 in Deutschland hergestellt wird, muss die Bundesregierung seinen Export genehmigen – auch wenn andere Länder ihn weitergeben wollen.

Es ist richtig, seine Entscheidungen in so großen Fragen genau abzuwägen. Und es ist zweifellos von größter Bedeutung, gemeinsam mit den Bündnispartnern zu handeln. Gerade dieser beständige Hinweis von Olaf Scholz zeigt aber, dass Deutschland sich noch einmal bewegen sollte.

Es gibt eine Reihe europäischer Länder, die Kampfpanzer liefern wollen – und es ist auch Deutschlands Verantwortung, dass die Europäer sich über diese Frage nicht zerstreiten, während Putin amüsiert zuschaut. Scholz sollte sich einen doppelten Ruck geben. Der Kanzler muss den Weg frei machen, dass andere Länder den Leopard 2 an die Ukraine liefern können. Wenn er dies tut, muss es – mit dem Segen der USA – eine gemeinsame Initiative der Europäer geben. In ihr sollte auch Deutschland den Leopard 2 an die Ukraine liefern. Es ist an der Zeit.