Dirk Preiß
Wenn an diesem Sonntag in der ARD die Dokumentation „Hungern für Gold“ läuft, sind Bilder zu sehen, die viele Sportinteressierte kennen. Und die auch Sven Hannawald vor Augen hat. Der ehemalige Skispringer sieht sein früheres Ich: „Heute würde ich sagen: Schau mal den Typ an, der ist ja magersüchtig.“ Er spricht über ein Thema, über das selten gesprochen wird im Spitzensport: Es geht um Magerwahn und mögliche Essstörungen.
Hannawald erkrankte in der Spätphase seiner Laufbahn zwar an Burn-out. Der stete Zwang, möglichst leicht und doch schnellkräftig zu sein, zehrte jedoch Körper und Seele gleichermaßen aus. Die Bilder des abgemagerten Skisprungidols aus den frühen 2000er Jahren beherrschten eine Zeit lang die Schlagzeilen. Doch war und ist Sven Hannawald alles andere als ein Einzelfall.
Damals wie heute lauert im Spitzensport die Gefahr einer Essstörung, vor allem in Sportarten, wo sich mit einer Gewichtsreduktion direkt bessere Leistungen erzielen lassen. Ausdauersportarten etwa, auch die ästhetischen Sportarten wie Ballett, Turnen oder die rhythmische Sportgymnastik. Was den kurzfristigen Leistungssteigerungen entgegensteht? Langfristige gesundheitliche Schädigungen. In ganz schlimmen Fällen sogar der Tod.
Um diese Folgen wissen die wenigsten jugendlichen Sportler, wenn sie glauben, den Anforderungen des Systems Spitzensport nur noch mit einer massiven und gesundheitsgefährdenden Gewichtsreduktion gerecht werden zu können.
Die Olympiateilnehmerin und mehrfache deutsche Meisterin im Turnen Kim Bui ist eine Betroffene. Aber sie ist auch eine Sportlerin, die nun, nach dem Ende ihrer Karriere, darüber berichtet, wie sie einst als turnender Teenager an Bulimie erkrankte. Ihre Offenheit tut gut. Denn im Idealfall hilft eine solche Öffentlichkeit nicht nur, Erkrankten einen Weg aus dem Dunkel aufzuzeigen, sondern auch, Veränderungen am System Spitzensport voranzutreiben.
Leistungssport ist hart, keine Frage. Wer es, egal in welcher Sportart, in die Weltspitze schaffen will, muss an körperliche Grenzen gehen. Oft hört man auch: „. . . und darüber hinaus.“ Gerade für Trainerinnen und Trainer gleicht der Umgang mit den jungen Sportlern einem Drahtseilakt. Sie werden an Ergebnissen gemessen, müssen extrem fordernd sein, ohne zu überfordern. Müssen trotz allem fürsorglich handeln, dürfen die Unversehrtheit der Athletinnen und Athleten in keinem Moment gefährden. Und das in vielerlei Hinsicht. Fälle von körperlicher, psychischer oder sexualisierter Gewalt im Sport hat es immer wieder gegeben.
Das System hat bereits gelernt, verschiedene Initiativen – auch aus dem Kreise der Athleten – sollen helfen, übermäßige Härte, das Fordern gesundheitsgefährdender Maßnahmen oder gar kriminelle Vergehen bestenfalls auszuschließen, wenigstens aber früh zu erkennen. Aus- und Fortbildungen für Übungsleiter haben sich verändert. Und dass ein unabhängiges Zentrum für Safe – also sicheren – Sport in Deutschland kommt, ist richtig und überfällig.
Ebenso wichtig sind glaubwürdige Vorbilder – ob Athlet oder Coach –, die zeigen, dass weder Drill noch Hungerwahn nötig sind, um erfolgreich zu sein. Dass auch ein Trainer-Sportler-Verhältnis auf Augenhöhe zu Bestleistungen führen kann. All das zu fördern, ist allerdings nicht allein Aufgabe des Spitzensports – sondern auch der Gesellschaft. Wer Wertschätzung nur jenen entgegenbringt, die am Ende im Medaillenglanz strahlen, trägt zum Schutze der Athletinnen und Athleten wenig bei.