Tobias Heimbach
Es ging hoch her am Freitag im Bundestag. Einen „Betrug am Wähler“ witterte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt angesichts der Wahlrechtsreform der Ampelkoalition. Linke-Politiker Jan Korte nannte das Gesetz einen „Anschlag auf die Demokratie“ und verglich das Vorgehen von SPD, Grünen und FDP mit den „Tricksereien der Trump-Republikaner“.
Am Ende wurde die Reform mit den Stimmen der Koalition angenommen. Doch damit ist die Diskussion noch lange nicht vorbei, als Nächstes werden sich wohl die Verfassungsrichter in Karlsruhe mit dem Gesetz beschäftigen.
Dabei versperrt die berechtigte Kritik an der Reform den Blick auf dessen Errungenschaften. Die neue Regelung stellt sicher, dass der Bundestag künftig eine feste Größe hat: 630 Abgeordnete, nicht weniger und vor allem nicht mehr. Schon jetzt platzt das Parlament mit 736 Mitgliedern aus allen Nähten. Und es hätten in Zukunft noch mehr werden können.
Dass es nach den neuen Regeln vorkommen kann, dass ein Bewerber seinen Wahlkreis zwar direkt gewinnt, aber trotzdem nicht in den Bundestag einzieht, ist nicht schön – aber verschmerzbar. Der Bundestag hat bewiesen, dass er sich selbst reformieren kann. Die Abgeordneten entschieden, dass es künftig weniger von ihnen gibt. So ein Schritt erfordert es, die eigenen Interessen zugunsten des großen Ganzen zurückzustellen. Dem muss man Respekt zollen.
Doch darüber wird nicht gesprochen, weil die Ampel auf dem Weg zu diesem Gesetz so viel Porzellan zerschlagen hat wie eine ganze Elefantenherde. Daran ist die Koalition selbst schuld. Und zwar völlig ohne Not.
Als vor einer Woche der überarbeitete Entwurf des Gesetzes bekannt wurde, stand darin auch die Streichung der Grundmandatsklausel – anders als zunächst im Januar vorgestellt. Nur dank dieser Regelung zog die Linke nach der vergangenen Wahl mit 39 Abgeordneten in den Bundestag ein. Nach dem neuen Gesetz wäre sie dort gar nicht mehr vertreten gewesen. Und hätte die CSU bei Anwendung des neuen Gesetzes nur 0,3 Prozent weniger Zweitstimmen gehabt, dann wäre sie trotz 45 gewonnener Wahlkreise ebenfalls nicht im Bundestag gelandet. Wären die CSU und Linke nicht im Parlament vertreten gewesen, hätten sich neun Millionen gültige Stimmen nicht im Parlament wiedergefunden.
Ja, die Grundmandatsklausel ist ein Fremdkörper, und dass allein die Zweitstimme darüber entscheiden soll, wer in den Bundestag einzieht, ist eine klare und logische Regel. Doch lässt sich eine Wahlrechtsreform eben nie im luftleeren Raum gestalten. Man muss die Realität berücksichtigen. Und danach müssen CSU und Linke befürchten, mit dem neuen Gesetz aus dem Parlament draußen gehalten zu werden. Daher zürnen sie zu Recht.
Eine Veränderung an einem so sensiblen Thema wie dem Wahlrecht sollte am besten im Einklang mit der Opposition gestaltet werden. Das ist nicht immer möglich, was auch an der jahrelangen Blockadehaltung der CSU liegt. Dennoch muss so eine Reform über alle Zweifel erhaben sein, die politische Konkurrenz zu stark zu benachteiligen. Das ist hier nicht der Fall.
Die Härte dieser Debatte lässt Übles erahnen für die kommenden Jahre. Nämlich dass das Wahlrecht je nach wechselnder Mehrheit immer wieder verändert wird, ein zentrales Element der Demokratie als parteitaktischer Zankapfel. Im schlimmsten Fall hat die Ampel einen Zombie geschaffen, einen Untoten, der immer wiederkehrt. In diesem Fall zum Schrecken der Wähler.