Armin Käfer
Stuttgart
An diesem Donnerstag steht eine Premiere an im Deutschen Bundestag – wie man’s nimmt: Charles III. weilt erstmals in seiner Rolle als Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs zu Besuch in Deutschland und wird vor dem Parlament eine Rede halten. Es ist überhaupt seine erste Auslandsreise, seit er seine Mutter auf dem Thron beerbt hat – aber keineswegs die erste Visite im Land seiner Vorfahren: Charles war zuvor schon mehr als 40-mal in der Bundesrepublik. Selbst die Ansprache unter der Reichstagskuppel ist für ihn kein Debüt. Vor zweieinhalb Jahren hat er schon einmal dort gesprochen, allerdings in anderem Auftrag, in anderer Funktion – und getragen von anderen Erwartungen.
Ein König vor dem Bundestag – das immerhin kann als historische Premiere gelten: Für gewöhnlich haben vor dem Plenum der Volksvertreter nur gewählte Repräsentanten Rederecht, in seltenen Ausnahmen Zeitzeugen des Holocaust oder ein einziges Mal der (deutsche) Papst. Die Linksfraktion erinnert nicht völlig zu Unrecht an diese demokratische Tradition.
Gekrönte Häupter waren im Domizil des Parlaments bisher nicht zu Gast. Charles repräsentiert eine Staatsform, die in Deutschland seit mehr als 100 Jahren überwunden ist (wobei hinterher eine schlimmere folgte, bevor die Demokratie sich dauerhaft etablieren konnte). Ungeachtet der vielen „Reichsbürger“, die jenem unbestimmten Vorgestern verhaftet bleiben, genießt die Monarchie hierzulande wenig Sympathie, wie aktuelle Umfragen zeigen. Manche Monarchen werden gleichwohl wie Stars gefeiert. Diesen Status hat Charles noch nicht erreicht – im Unterschied zur verstorbenen Queen, die 2015 zuletzt in Deutschland war.
Elizabeths erster Staatsbesuch im Jahre 1965 markierte für die Deutschen 20 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg „das Ende vom Status der geächteten Nation“, wie es der Sozialdemokrat Carlo Schmid formuliert hat, einer der Väter des Grundgesetzes. Inzwischen ist Großbritannien zwar nicht geächtet, aber aufgrund eigener Entscheidung ein Outcast in Europa. Die Briten haben sich ihren EU-Partnern durch den Brexit und die Art, wie er exekutiert worden ist, entfremdet. Charles wiederum muss sich Ansehen, Autorität und Popularität erst erarbeiten.
Das Vereinigte Königreich, als dessen Oberhaupt er in Berlin empfangen wird, ist alles andere als geeint. Der Brexit hat die Briten auf beispiellose Weise entzweit, den öffentlichen Diskurs polarisiert, der Wirtschaft entgegen aller Schönfärberei massiv geschadet, den Staat destabilisiert. Seit dem Austritt aus der EU hat kein britisches Parlament mehr eine volle Wahlperiode lang existiert. Vier Premierminister sahen sich vorzeitig zum Rücktritt gezwungen. Die konservative Regierungspartei ist von heftigen Machtkämpfen zerrüttet. Die Herrschaften, die unter der Oberhoheit der Monarchie das Regiment führen, haben das Ansehen ihres Landes demoliert. Die britische Schriftstellerin A. L. Kennedy sagt über die heimischen Zustände: „Es ist, als befände man sich in einem apokalyptischen Märchen über das dumme Ende eines dummen Landes.“
Charles III. könnte jedoch bei seinem Besuch im Bundestag an den letzten Auftritt anno 2020 anknüpfen. In seiner damaligen Ansprache hatte er der „starken Bande zwischen unseren beiden Ländern“ geradezu gehuldigt. Er nannte Deutsche und Briten „unverzichtbare Partner“ und wagte die Prognose, dass dies auch nach dem Brexit so bleiben werde. Das allerdings wäre ganz ohne Zweifel in beiderseitigem Interesse. Jeder Zwist unter freiheitlichen Staaten leistet am Ende nur der Unfreiheit Vorschub.