Leitartikel

Vorsorge nicht vergessen

Regine Warth

Die Mühen in der Krebsforschung zahlen sich aus: 65 Prozent aller Krebspatienten in Deutschland leben noch mindestens fünf Jahre nach der Diagnose, immer mehr werden geheilt. So gesehen hält der Weltkrebstag eine relativ erfreuliche Botschaft bereit: Die Zahl der Überlebenden wächst. Krebs bedeutet in vielen Fällen nicht mehr ein rasches Todesurteil, die Krankheit kann auch einen chronischen Verlauf nehmen. Möglich gemacht wird dies durch die rasante Entwicklung insbesondere in der Immunonkologie und der Gentechnik, die selbst bei fortgeschrittenen Fällen die Therapie revolutionieren.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Jedes Jahr erkranken in Deutschland rund eine halbe Million Menschen an Krebs. Bis zum Jahr 2030 dürfte die Zahl noch mal um ein Fünftel zunehmen, weltweit rechnet man bis zur Jahrhundertmitte mit einer Verdoppelung der Patientenzahl. Es ist fraglich, wie das ­Gesundheitssystem die wachsende Zahl an Krebskranken samt den Kosten für die Heilbehandlung, Präventions-, Rehabilitations- oder Pflegemaßnahmen verkraften wird.

Dabei müssten die Erkrankungszahlen gar nicht so hoch sein: Experten des Deutschen Krebsforschungszentrums zufolge wären rund 75 Prozent der weltweiten Sterblichkeit an Krebs vermeidbar, wenn Präventions- und Diagnosemöglichkeiten nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft umgesetzt würden. In diesem Punkt hat die im Jahr 2019 von der Bundesregierung ausge­rufene Initiative Nationale Dekade gegen Krebs bisher keine Fortschritte geliefert: Während im Ausland neue Screeningmethoden kurz nach Studienveröffentlichung den Weg in die Versorgung gefunden haben, wird hierzulande in Gremien jahrelang über deren Einführung beraten.

Krebs darf nicht als Normalzustand akzeptiert werden – vielmehr müssen die Anstrengungen intensiviert werden. Auch wirtschaftspolitische Maßnahmen sind angezeigt: Seit Jahren fordert die Vereinigung für internationale Krebsbekämpfung gezielte Steuererhöhungen, Werbebeschränkungen sowie bessere Kennzeichnungen von Tabakprodukten, Alkohol und hochverarbeiteten Lebensmitteln einschließlich zuckerhaltiger Getränke. Diese Rufe verhallen ungehört. Weil sich Krebsvorsorge nicht wählerwirksam kurzfristig, sondern allenfalls langfristig auszahlt, mahlen die politischen Mühlen langsam. Das muss sich ändern.

Zugleich scheitern die Bemühungen der Prävention oft am Verhalten der Bevölkerung. Die Botschaft, dass künftig jeder zweite Bundesbürger statistisch gesehen an Krebs erkranken wird, ist bei vielen noch nicht angekommen. Seit Beginn der Coronapandemie hat die Zahl derer, die an den jährlichen Krebsvorsorgeuntersuchungen teilnehmen, noch weiter abgenommen. Umfragen von Krankenkassen zufolge sind besonders Männer nur selten bereit, sich einer Früherkennungsmaßnahme zu unterziehen. Hier braucht es noch ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein. Die Krankenkassen müssten dieses mit stärkeren Anreizen unterstützen.

Noch ein Problem verschweigen die erfreulichen Zahlen der Überlebensstatistiken: So ist es wissenschaftlich erwiesen, dass ehemalige Krebspatienten noch Jahre nach ihrer Erkrankung massive gesundheitliche, aber auch wirtschaftliche Probleme haben. Wer chronisch krank ist, findet nur schwer zurück ins Berufsleben. Für die rund vier ­Millionen Langzeitüberlebenden gibt es in Deutschland immer noch kein angemessenes Nachsorgeprogramm. Zum Kampf gegen Krebs gehört es nicht nur, Prävention und Heilungschancen zu verbessern, sondern auch, ein Weiterleben in Würde zu fördern.