Adrienne Braun
Noch schnell ein Kolumnistenwort – Eh unser aller Geist schwirrt fort, Und im Akkord die Korken knallen Statt süßem In-die-Arme-Fallen. Da nichts mit Walzer, Roben, Schlips, Bleibt vielen nur der Schampusschwips.
Ersäufen wird man dieses Jahr, Das wahrlich kein beliebtes war. Im Ordner flugs es abgelegt, den schnell man in den Keller trägt. Besiegelt der Kalendertausch Mit veritablem Neujahrsrausch.
Doch eh wir es zu Grabe tragen, Will ich noch einmal herzhaft klagen. Denn eines hat das Jahr gelehrt: Am besten lebt, wer sich beschwert! So will ich jetzt Zwei-Eins bekrönen Mit einem Hoch aufs stete Stöhnen.
Allein wie dieses Jahr sich eilte, stets rannte, hetzte, nie verweilte. Zugleich wollt’s nicht vorübergeh’n, Als tät’ es auf der Stelle steh’n. Nie wusst’ man, was es will und soll. Drum: Punktabzug im Protokoll.
Empörend auch, wie fad und dumm Man plötzlich saß zu Hause rum. Einst litt man herrlich unter Stress. Jetzt heißt die Losung schlicht: Tristesse. Man schreibt uns vor, wen wir wo seh’n? Dann lieber trotzig Däumchen dreh’n!
Auch Tränen flossen literweise, weil die wohlverdiente Reise ins Fünf-Sterne-Golfresort Mit Wellness und De-luxe-Komfort Man fristen sollte ganz spontan im Allgäu bloß – statt im Oman.
Viel Mitleid gab’s für die Tortur, Die schwer erdrückt, ach, die Kultur. Man weint sich fast die Augen aus, Dass Künstler spiel’n vor leerem Haus. Zum Trost sie auf der Bühne seh’n? So weit wollt man dann doch nicht geh’n.
Ließ lieber sich den Tag verderben Vom ungebremsten Ladensterben. Denn eine Stadt verliert an Charme und wäre ohne Shopping arm. Doch recht bequem ist’s eben schon, drum kauft man nur bei Amazon.
Tränen weint’ auch oft die Jugend Als Hüterin von Recht und Tugend. Sie will die eigne Zukunft retten vor jenen, die im Flieger jetten. Bei einem aber ist sie mild: beim Stromverbrauch fürs Streaming-Bild.
Ob links oder auch rechts des Rheins, in einem sind sich alle eins: Das, was die Politik verzockt, Hätte man selber nie verbockt. Warum man sich nicht engagiert? Weil’s netter sich doch kritisiert.
Die Wangen sind vor Kummer blass, Das Tränentuch pitschpatschenass, Es gäbe noch so viel zu jammern, In unser aller warmen Kammern. Doch hell strahlt es durch Schlüsselloch – Drum will ich raus aus diesem Joch.
Ich wünsche mir und auch euch allen: Den Sprung über die Jammerfallen. Schluss mit Lamento, Mäkeln, Schimpfen Und mit verwöhntem Nase-Rimpfen. Der Blick verrückt bloß um ein Stück: Da ist’s doch schon, das kleine Glück.