Jörg Scheller
Jede Zeit hat ihre Körperklischees. In den 1980er Jahren waren überdimensionierte Bodybuilder wie Arnold Schwarzenegger populär, als Sexsymbol der 1990er Jahre planschte die vollbusige Blondine Pamela Anderson in den „Baywatch“-Wellen. Es war zwar viel die Rede von Gesundheit und Fitness, aber in dieser Hinsicht wirkten weder der Arnold’sche Monumentalbizeps noch die Anderson’schen Silikonbrüste überzeugend. In Wahrheit ging es um Körper als Kunstwerke und Symbole. Die Funktionstüchtigkeit war nachrangig, solange der Look stimmte.
In der Körperkultur des 21. Jahrhunderts hat sich so einiges geändert. Zwei Eigentümlichkeiten fallen besonders auf: der Boom Funktionalen Trainings zum einen, die Glorifizierung des Hinterns zum anderen. Im westlich dominierten 20. Jahrhundert wurde das Gesäß eher klein gehalten. In Zeiten diverser Körperbilder, wie sie die Globalisierung dankenswerterweise mit sich bringt, darf es sich entfalten. Zyniker würden hinzufügen: Da die Welt bekanntlich im Arsch ist, ist es nur folgerichtig, dass diesem Körperteil besonders viel Designaufwand gilt! Soll nicht schon Martin Luther gesagt haben „wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch meinen Hintern trainieren“? Oder war es Kim Kardashian?
Wie dem auch sei – dass Po-Vergrößerungen durch Eigenfett, Implantate oder Work-outs Konjunktur haben, passt auch zum Klima der politischen Polarisierung. In den USA sagt man, nur halb im Scherz: Republikaner stehen auf Brüste, Demokraten auf Hintern. Sollte das zutreffen, deutet einiges auf einen Linksruck hin, der mit Joe Bidens Präsidentschaft ja auch eingetreten ist.
Was das Funktionale Training betrifft, ist das typisch westliche Bodybuilding mit seinen frivolen Muskelmasse-Exzessen auf dem absteigenden Ast – wie der Westen insgesamt, würden die Zyniker rufen. Bodybuilder gelten als dekadente, peinliche Freaks. Heute sind Körper gefragt, die wirklich etwas können, anstatt nur danach auszusehen. Körper, die tatsächlich fit, gesund, belastbar, schnell, flexibel, stark, ausdauernd, wehrhaft sind. Also trainiert man heutzutage nicht mehr an Maschinen, sondern mit dem eigenen Körpergewicht und flicht artistische Übungen ein. Auch viele Elemente militärischen Exerzierens haben ins zivile Pumpen Einzug erhalten.
Bei Frauen werden Amazonenkörper salonfähig, bei Männern sind heroische Vollbärte beliebt. Sollte sich im Wandel der Trainingskultur ein allgemeiner Wandel spiegeln, so bestünde Anlass zur Sorge: Die neuen Körper stehen weniger für frivole und ironische Kunst als vielmehr für Entbehrungen, Kampf und blutigen Ernst.