Leitartikel

Notlagen als neue Normalität

Armin Käfer

Jetzt auch noch diese Hitze – noch eine Krise, auf die wir nicht vorbereitet waren, weder Pflegeheime noch die an ­Wassermangel darbende Landwirtschaft oder aufgeheizte Großstädte. Auch ohne Dürre, tropenheiße Nächte selbst in nordischen Breiten und kaum zu bändigende Waldbrände allerorten hatten die meisten wohl begriffen, dass der Klimawandel lebensbedrohlicher ist als die vielen Schlagzeilen, in denen schon von ihm zu lesen war.

Krisen branden gerade von vielen Seiten auf uns ein – als würden die legendären biblischen Plagen erneut die Welt heimsuchen: erst die Seuche, dann auch noch der Krieg mit all seinen Folgen. Artensterben und Klimawandel waren zuvor schon im Gang. Nun werden sie von Inflation, von der kollabierenden Globalisierung, von einer heraufdämmernden Rezession sowie von Engpässen bei der Energie- und Lebensmittelversorgung überlagert. „Polykrise“ hat das der französische Philosoph Edgar Morin einmal genannt: Die Krisen drohen uns in ihrer Gleichzeitigkeit zu überfordern. Sie können sich wechselweise verstärken, aber auch die jeweils spezifischen Gegenstrategien beeinträchtigen – was gegen die eine Misere helfen könnte, verstärkt womöglich eine andere. Die Parallelität der vielen Krisen eröffnet allerdings auch politische Chancen.

Beginnen wir mit den düsteren Aussichten: Putin lässt Getreidesilos bombardieren und instrumentalisiert damit gezielt den Hunger als Waffe. Das könnte Millionen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen – was in Europa als neuerliche Migrationskrise spürbar würde. Die kriegsbedingten Sanktionen und russische Gegenreaktionen darauf leisten einer handfesten Wirtschaftskrise Vorschub, welche die Stabilität ganzer Staaten gefährden könnte (auch, aber nicht vorrangig die Russlands). Die Spannungen zwischen überschuldeten und finanziell vergleichsweise soliden Ländern in der Europäischen Union würden damit ebenfalls zunehmen. Und natürlich schadet die verstärkte Nutzung von Frackinggas und Kohlekraftwerken, was uns über eine von Putin inszenierte Eiszeit im Winter hinweghelfen soll, der Umwelt. Wir heizen dem ohnehin überhitzten Klima somit weiter ein.

Hohe Energiepreise dämpfen aber auch den Verbrauch, was für das Klima ein Segen wäre. Die krisenhafte Gleichzeitigkeit begünstigt Anpassungsprozesse, die ohnehin unausweichlich sind: etwa eine Verteuerung fossiler Brennstoffe mit dem Ziel, die Emission von Treibhausgas langfristig auf null zu drosseln – die einzig erfolgversprechende Strategie gegen die globale Metakrise dieses Jahrhunderts, den Klimawandel. Gerade in krisenhaften Zeiten, wie wir sie momentan erleben, könnten die multiplen Herausforderungen solche Anpassungsprozesse sogar beschleunigen – weil sowohl die Notwendigkeit dafür wächst als auch die Widerstände schwinden. Unbedachte Kompensationen wie ein Tankrabatt können das allerdings zunichtemachen.

Die Regie eines Krisenmanagements, das viele, zum Teil gegensätzliche Effekte zu bedenken hat, würde den bestorganisierten Staat überfordern – wenn er allein auf paternalistische Politik (Tankrabatt) setzt statt auf Eigenverantwortung und Preisanreize. Allerdings muss der Staat auch Leitplanken dafür aufbauen und soziale Härten abfedern, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt sprengen könnten. Angesichts vielfältiger Krisen, deren Ursachen nicht immer zu beeinflussen sind, wächst zugleich die Ohnmacht der Nationalstaaten – es wachsen aber auch die Erwartungen an eine staatliche Allmacht, die uns vor den Folgen bewahren soll. Diesen Zwiespalt gilt es auszuhalten.